Ein junger, eben freigesetzter Habichtsadler auf Mallorca: Dieser agile Greifvogel bevorzugt trockene, felsige Regionen im Süden Europas, Nordafrikas und Südasiens, wo er sich von kleinen bis mittelgroßen Wirbeltieren ernährt. Auf den Balearen war er fast ausgestorben.

Foto: Nis Lundmark Jensen

Dílar ist seit Ende November Mallorquinerin. Der weibliche Habichtsadler ist gut ein Jahr alt und hat schon einiges hinter sich. In seiner Heimat Andalusien bekam der Vogel auf einem Strommast einen elektrischen Schlag und war danach flugunfähig. Dílar wurde gerettet, in einer Madrider Aufzuchtstation rehabilitiert - eine Zehe musste amputiert werden - und danach wieder auf das Leben in Freiheit vorbereitet. Diese Freiheit wartete auf Mallorca.

Die Insel ist eine von drei Auswilderungsregionen des Projekts "Life Bonelli" (Habichtsadler heißen auf Spanisch Aguila Bonelli). In Spanien leben 65 Prozent aller europäischen Habichtsadler. Deren Lebensräume sollen nun ausgeweitet werden. Mallorca ist dabei einzigartig. Nur hier können erwachsene Tiere wie Dílar mit der Aussicht darauf freigelassen werden, dass sie auch bleiben.

Die Brutort-Treue

Carlota Viada, Mitarbeiterin der balearischen Tierschutzbehörde, erklärt das mit der Geografie und der Brutort-Treue, also der Brut am eigenen Geburtsort. Dílar würde zum Brüten eigentlich nach Andalusien zurückkehren, aber weil das Mittelmeer dazwischenliegt, bleibt sie auf der Insel. In Navarra und der Region Madrid, den beiden anderen Auswilderungsregionen des Programms, werden Kolonien nach der Hacking-Methode etabliert: Jungvögel aus Aufzuchtstationen werden dort in Nestern ausgesetzt, wo sie später brüten sollen.

Die Wiedereinführung war auf Mallorca dringlich. Habichtsadler waren dort seit den 1970er-Jahren ausgestorben. Auf der Insel gab es lange keine Spitzenprädatoren, Raubtiere, die an der Spitze der Nahrungskette stehen und auch andere Raubtiere fressen: Steinadler sind seit den 1950er-Jahren ausgestorben, es fehlen Füchse, Wölfe oder Uhus. Die Folgen sind Überbevölkerung von Kaninchen, Möwen und Ziegen, die vor allem im Gebirge großen Schaden anrichten.

Kaninchen im Süden der Insel

23 Habichtsadler ziehen nun ihre Kreise über Mallorca. Ihre Lieblingsplätze sind die Berge der Tramuntana im Westen und Norden, das Naturschutzgebiet der Levante-Halbinsel im Osten und die flache Südhälfte der Insel, "wo es vor Kaninchen nur so wimmelt", wie Carlota Viada sagt. Die Freilassungen begannen 2011, finanziert wird das Vorhaben von der EU bis 2017. Danach muss Bilanz gezogen werden. Ein dauerhaftes Überleben der Kolonie, die im vergangenen Juni ihr erstes Küken bekam, sei mit etwa 15 Brutpaaren und 40 bis 50 Exemplaren garantiert, schätzt Viada.

An diesem Punkt ist ein anderes Projekt der Insel: Ende der 1980er-Jahre begann die Mönchsgeierstiftung Black Vulture Conservation Foundation (BVCF) rund um die Wiener Biologin Ewelyn Tewes auf Mallorca Pionierarbeit zu leisten. Der Bestand war damals auf 19 Exemplare und ein einziges Brutpaar gesunken, heute leben wieder rund 150 Exemplare auf der Insel. Ihre Kernzone ist der naturbelassene Norden der Tramuntana-Kette, wo viele Geier an der Steilküste brüten. Viele Ornithologen kommen, um sie zu beobachten. Für sie gibt es auf Mallorca auch Rotmilane, Zwergadler, Wanderfalken, Fischadler oder Eleonorenfalken zu sehen. Auch Gänsegeier leben auf der Insel: Ein Sturm hat sie 2008 vom Festland übers Meer getragen.

Die Horste von Ariant

Besonders viele Horste gibt es auf dem tausend Hektar großen Privatgrundstück Ariant bei Pollença. Die ehemaligen Besitzer, ein Schweizer-peruanisches Ehepaar, haben den Landstrich 2012 der Stiftung vermacht. Tewes hat nun mit ihrem Mann Juanjo Sánchez ein Projekt für Landschaftspflege und Naturtourismus entwickelt. Wer will, kann in Ariant wandern, den außergewöhnlichen botanischen Garten bewundern und im restaurierten Wachturm schlafen. In dem Hochtal lassen sich die Mönchsgeier beim Gleitflug beobachten. Sie sind die Könige an Mallorcas Himmel, und das scheinen sie zu wissen. (Brigitte Kramer aus Palma, DER STANDARD, 11.12.2014)